Demokratie und Grundrechte in Zeiten der Corona-Pandemie

Ein Debattenbeitrag der lokalen Partnerschaft für Demokratie Saalfeld-Rudolstadt

Bislang noch nie dagewesene Ausnahmesituation

Wir leben nun, seit mehr als zwei Monaten, in einer für uns alle vollkommen neuen Ausnahmesituation. Die Corona-Pandemie ist ein tiefer Einschnitt in unser aller Leben, der mit spürbaren und nachhaltigen Veränderungen einhergeht. Wie gehen wir damit um?
Die Corona-Pandemie stellt die demokratischen Staaten weltweit vor die schwierige Herausforderung zwischen dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung und den individuellen Freiheits- und Grundrechten seiner Bürgerinnen und Bürger die richtige Balance zu finden. Das menschliche Leben ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft und wir begrüßen die Entscheidung, die Gesundheit und Leben der Menschen in den Vordergrund staatlichen Handelns zu stellen, ausdrücklich.

Wir befinden uns aktuell in einer Sondersituation, in der rasches Agieren staatlicher Institutionen wichtig ist. Gleichzeitig kann niemand mit Gewissheit sagen, wie die Pandemie genau verlaufen wird, da es sich dabei immer um ein singuläres Ereignis handelt. Es müssen also Entscheidungen und Maßnahmen getroffen werden, die im Moment als notwendig und angemessen gelten, aber regelmäßig an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst werden müssen. Die damit verbundenen Einschränkungen unserer Grundrechte, wie die Freiheit der Person, die Versammlungs- und Religionsfreiheit oder die freie Berufswahl,beschäftigen uns sehr und müssen als kritisch betrachtet werden.

Gleichzeitig wollen wir ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese Einschränkungen nicht inhaltlicher Art sind, sondern zwingend notwendig, wenn die Kontaktsperre zwischen den Menschen ihre beabsichtige Wirkung entfalten soll. Unser Grundgesetz sieht eine Beschränkung der Grundrechte ausdrücklich vor (Art. 19 GG), sofern diese begründet und verhältnismäßig ist.

Die Entwicklung der Zahl der Neuinfektionen bestätigt den eingeschlagenen Kurs und das Greifen der Maßnahmen. Im internationalen Vergleich hat Deutschland die Pandemie bislang verhältnismäßig gut gemanagt.  Die befürchtete Überlastung unseres Gesundheitssystems konnte so vorerst verhindert und kritische Zustände, wie wir sie z.B. in den USA, Italien oder Spanien beobachten mussten, vermieden werden. Wir sind daher dankbar und haben großen Respekt gegenüber den Entscheidungsträger*innen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, den Menschen, die das Land in den vergangenen Wochen am Laufen gehalten haben und natürlich den Bürgerinnen und Bürger, die die notwendigen Maßnahmen trotz der persönlichen Einschränkungen mitgetragen haben und weiterhin mittragen. Diese Solidarität zeugt von einem verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Mitmenschen, insbesondere denen, die zu den Risikogruppen zählen bzw. im medizinischen Bereich tätig sind.

Grundrechtseinschränkungen zeitlich befristet

Wesentlich ist, dass die Einschränkungen der Grundrechte zeitlich befristet sind und im Einklang mit grundgesetzlichen Grenzen stehen müssen, so wie im aktuellen Fall. Dass bereits mit den ersten Lockerungsmaßnahmen wieder Demonstrationen und Gottesdienste, wenn auch im Bezug der Teilnehmenden begrenzt, möglich sind, zeigt, dass die verfassungsmäßig vorgesehene Abwägung von Grundrechten bedeutsam ist und erfolgt. Auch die Parlamente, Stadt- und Gemeinderäte dürfen wieder in vollem Umfang tagen und ihre verfassungsrechtlichen bzw. behördlichen Aufgaben erfüllen.

Elementar ist zudem, dass die Meinungsfreiheit nie von den Beschränkungen betroffen war. Kritik an der Politik der Regierungen bzw. den getroffenen Corona-Maßnahmen war und ist immer möglich, sei es in Sozialen Medien, in Leserbriefen, in Form von aufgehängten Bannern und Plakaten oder mittels Online-Petitionen. Auch Demonstrationen können wieder wie gewohnt angemeldet werden.

Ein weiterer Hinweis für das Funktionieren unserer Demokratie ist, dass die Maßnahmen bzw. Einschränkungen nicht nur bestimmte Bevölkerungsgruppen treffen, sondern gleichermaßen für alle gelten. Auch verfügt Deutschland sowohl über eine unabhängige Justiz als auch über eine freie Presse, die die Entscheidungen der Regierungen kritisch begleiten und, ggf. getroffene Entscheidungen mit entsprechenden Urteilen kippen, z.B. beim Versammlungsrecht.

Die Augen offenhalten

Trotz der vorherrschenden Ausnahmesituation und den zeitlich begrenzten Einschränkungen unserer Grundrechte, muss jeder von uns wachsam sein. Wir müssen alles dafür tun, dass die Begrenzungen nur wirklich solang bestehen bleiben, wie es unbedingt notwendig ist, um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu garantieren. Jeder Grundrechtseingriff muss verhältnismäßig sein und darf den Wesensgehalt des jeweiligen Grundrechtes nicht ändern. Sollte es keine glaubhaften Gründe mehr geben, die Grundrechtseinschränkungen aufrechtzuerhalten, müssen sie unverzüglich zurückgenommen werden.

Dafür ist es wichtig, dass die Regierungen und Entscheidungsträger*innen, ihre Bürgerinnen und Bürger transparent und offen über ihre einzelnen Schritte informieren und ihr Handeln ausführlich erklären. Ehrlichkeit und Glaubhaftigkeit sind die Grundvoraussetzung für Vertrauen. Dieses scheint bezüglich des staatlichen Handelns, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zu haben.
Je länger die aktuelle Krise andauert, desto schwerer wird es allerdings dies auch zu bewahren. Nicht nur Familien sind zunehmend unter Druck, sondern auch Unternehmen, Selbstständige und Angestellte. Sie alle brauchen dringend Perspektiven für die eigene Zukunft.

Gerade in schwierigen Zeiten, in denen notwendige tiefgreifende und unliebsame Entscheidungen getroffen werden müssen, zeigt sich verantwortungsvolles und gutes Regierungshandeln. Populismus, Ideologie und Verschwörungserzählungen bieten keine konstruktiven Antworten auf drängende Fragen. SARS-COV-2 ist nicht der erste Virus, dem die Menschheit gegenübersteht. Was es braucht, sind daher gezielte Forschung, nüchterne Analysen und Abwägungen sowie klare und umsichtige Entscheidungen. Panikmache, die Suche nach einem Sündenbock und der Glaube an dunkle Mächte waren und sind dabei weder aufgeklärt noch hilfreich. Sie bringen die Gesellschaft in dieser Situation keinen Schritt voran. Geradezu paradox mutet es daher an, wenn gesellschaftlichen Kräfte, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung aus tiefster Überzeugung ablehnen, nun auf die Straße gehen, um gegen eine Einschränkung der Grundrechte zu demonstrieren, wie zuletzt in Berlin, Stuttgart oder Chemnitz.

Blick nach vorn

Für unsere zukünftige Arbeit als Partnerschaft für Demokratie erwarten wir positive Effekte aus den Erfahrungen der vergangenen Wochen. Vor 30 Jahren wurde in Thüringen im Zuge der Wiedervereinigung das Grundgesetz in Kraft gesetzt. Seitdem können sich auch die Menschen in unserer Region darauf berufen. Für viele Menschen sind die Grund- und Freiheitsrechte, die im Zuge der Friedlichen Revolution von mutigen und engagierten Menschen in der DDR erkämpft worden, mittlerweile selbstverständlich. Das dies nicht so ist, zeigt sich dieser Tage eindrücklich, ist aber mitnichten ein neues Phänomen. Schließlich gewannen, insbesondere in Thüringen, in den vergangenen Jahren demokratiekritische bzw. demokratiefeindliche Gruppierungen und Strömungen an Zuspruch und Einfluss. Allerdings entbehrt es jedweder Grundlage, die aktuell geltenden Einschränkungen mit der Situation in der DDR zu vergleichen. Heute dienen diese Maßnahmen auf Zeit dem Schutz der Bevölkerung. Damals hingegen war die gezielte Manipulation der Menschen das Ziel staatlichen Handelns, um die bewusste Zerstörung von Persönlichkeiten, Familien und Existenzen zu erreichen, die es gewagt haben die Regierenden zu kritisieren und sich aufzulehnen. Demonstration bei denen auf Missstände in der DDR hätte hingewiesen werden können, waren undenkbar. Wie die Staatsführung mit berechtigten Protesten umging, zeigten uns auf erschreckender Weise die Reaktionen am 17. Juni 1953.

Insbesondere junge Menschen, die die DDR-Diktatur nicht mehr bewusst miterlebt haben, bekommen in der aktuellen Situation erstmals einen Eindruck davon, was es bedeutet, wenn die persönliche Freiheit von Seiten des Staates eingeschränkt wird. Dies ist eine wichtige Lernerfahrung und wird sich tief in das Bewusstsein der Menschen einprägen. Wir erwarten dadurch eine Stärkung der aktiven Auseinandersetzung mit unser Demokratie und den Möglichkeiten und Chancen, die sie uns bietet. Aus diesem Grund werden wir Mitte Mai unseren diesjährigen Projektaufruf veröffentlichen. Wir laden alle Menschen ein ihre Ideen und Vorhaben einzubringen, um sie mit uns umzusetzen. So können wir die Freiheit, die wir hoffentlich bald uneingeschränkt zurückbekommen, gemeinsam feiern und bewahren, nicht nur für uns, sondern auch für die kommenden Generationen.

Bleiben Sie wachsam, kritisch, engagiert und vor allem gesund!

Saalfeld, Mai 2020